Das böse R-Wort macht die Runde – und die Zinskurven senden ein böses Omen

Das böse „R-Wort“ ist zurück: Die Anzeichen für eine Rezession mehren sich in verschiedensten Ländern rund um die Welt. Die Möglichkeiten der Inflationsbekämpfung durch die Notenbanken sind in dieser Situation arg begrenzt. Anleger sollten nun defensiver agieren und zinssensitive Branchen meiden.

Zehn Jahre minus zwei Jahre = negativ! So rechnet man derzeit in Brasilien. Gleiches gilt für Chile, Ungarn, Tschechien oder Mexiko. Und auch zehn Jahre minus fünf Jahre bringt in einigen Ländern ein negatives Ergebnis.

Wie es dazu kommt? So lautet schlicht das Resultat, wenn man die zwei- oder fünfjährigen (Staats-) Anleiherenditen von ihren zehnjährigen Pendants subtrahiert. Man spricht dann von einer „Inversen Zinsstruktur“, wenn also kurzlaufende Anleihen ein- und desselben Emittenten höher rentieren als langlaufende Papiere.

In „normalen“ Zeiten bringen Anleihen umso höhere Zinsen, je später sie getilgt werden, quasi als Halte- und Risikoprämie für den Anleger. Verkehrte Welt also?

Inverse Zinsstruktur in den USA deutet Rezession an

Natürlich könnte man gegenhalten, dass die Zinsstrukturkurven von Ländern wie Chile oder Tschechien für die globalen Kapitalmärkte eher von nachgelagertem Interesse sind. Leider zeigt sich das Phänomen der inversen Zinsstruktur auch in den Vereinigten Staaten und somit am bedeutendsten Kapitalmarkt des Globus. In der Vergangenheit war eine solche Zinssituation in den USA fast immer ein Vorbote für eine nachfolgende Rezession. Und eine Rezession hat sich bis dato zumeist negativ auf die Aktienmärkte ausgewirkt.

Ob es dieses Mal wieder so kommt? Die Antwort darauf ist momentan wahrscheinlich noch schwieriger zu finden als in früheren Wirtschaftszyklen. Zum einen wurden seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 die Zinsen von der US-Notenbank, aber auch der EZB, durch diverse Anleihekaufprogramme künstlich niedrig gehalten. Andererseits verabschieden sich beide Notenbanken gerade von der ultralockeren Geldpolitik. Das hat zur Folge, dass über kurz (US-Notenbank) oder lang (EZB) die Anleihekäufe eingestellt werden. Die nachlassende (künstliche) Nachfrage sollte gemäß Kapitalmarkttheorie dazu führen, dass die Zinsen am langen Ende wieder steigen, idealerweise über das Niveau ihrer kurzlaufenden Pendants.

Notenbanken stecken in der Zwickmühle

Auf der anderen Seite zwingt die Inflation, die schon vor Ausbruch des abscheulichen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine deutlich gestiegen ist, die Notenbanken mit Zinserhöhungen gegenzusteuern. Dies wiederum hat zur Folge, dass vor allem die Zinsen am kurzen Ende der Zinsstrukturkurve weiter steigen müssten. Die Fed hat mit dem Zinserhöhungszyklus bereits begonnen und angekündigt einige weitere Schritte folgen zu lassen.

Was auch immer schließlich die Zinsstrukturen dies- und jenseits des Atlantiks stärker beeinflussen wird: Die Gemengelage ist aktuell kompliziert. Anleger sollten ihre Strategie deutlich defensiver ausrichten als in den vergangenen beiden Jahren und weniger auf (zinssensitive) Wachstumswerte setzen.

Sich Hals über Kopf aus allen Anlagen (temporär) zu verabschieden wird höchstwahrscheinlich auch in dieser Krise nicht die Lösung sein. Auch wenn in rezessiven Phasen Aktien leiden, als Sachwert bieten sie traditionell einen gewissen Inflationsschutz. Und ob es tatsächlich zu einer Rezession kommt, oder „nur“ bei erhöhter Inflation bleibt, ist auch noch nicht ausgemacht.

Über den Autor

Seit mehr als 30 Jahren fühlt sich Udo Rieder dem Wertpapiergeschäft verbunden. Der Ausbildung bei der Deutschen Bank AG in Nürnberg folgten Einsätze als Investmentmanager in Lübeck und Genf, wo er das internationale Geschäft sehr wohlhabender Klienten betreute. Seine Rückkehr nach Deutschland führte ihn über die Leitung der Vermögensverwaltung für Nordbayern hin zur Verantwortung für die Investmentmanager im neu gegründeten Geschäftsbereich Private Wealth Management. Im Jahr 2008 ist er zur UBS Deutschland AG gewechselt, um die neu zu eröffnende Niederlassung Nürnberg mit aufzubauen. Seine berufliche Tätigkeit wurde flankiert von berufsbegleitenden Studien an der Bankakademie und der European Business School. Zudem ist er zertifizierter Eurex-Anlageberater. Im Januar 2015 trat Herr Rieder als Gesellschafter der KSW bei, um seine Kunden als Portfoliomanager weiterhin individuell zu betreuen.