Zinsanstieg stürzt die EZB ins Dilemma

Der massive Zinsanstieg der vergangenen zwölf Monate sorgt für Verwerfungen, und das nicht nur bei den ins Straucheln geratenen Regionalbanken in den USA oder der übernommenen Credit Suisse. Auch die Notenbanken selbst spüren die Auswirkungen in der Bilanz. In den zurückliegenden Jahren stieg der Gewinn der EZB von Jahr zu Jahr. Verlässlich überwies die Zentralbank die Überschüsse an die nationalen Staatshaushalte. Damit ist es jetzt vorbei.

Die Schweizer Notenbank erlitt 2022 einen Buchverlust (aus gehaltenen Anleihen und Aktien) von über 133 Mrd. Franken, bei rund 200 Mrd. Franken Eigenkapital. Der Grund dafür ist die Zinswende. Sie belastet die Bilanzen aller Zentralbanken mit vielen Milliarden.

Die Europäische Zentralbank steckt in einer besonderen Zwickmühle: Angeschlossene Geschäftsbanken erhalten mittlerweile Guthabenzinsen, anstatt Minuszinsen zu bezahlen, während die Zinseinnahmen aus den aufgekauften Staatsanleihen niedrig bleiben. Darüber erlitt die EZB im vergangenen Jahr Buchverluste bei den gehaltenen Devisenreserven, da der Euro schwächer notierte. Bei den US-Staatsanleihen im Bestand mussten die Buchverluste im Gegensatz zu den gehaltenen Eurostaatsanleihen sofort abgeschrieben werden.

Wichtigste Währung heißt „Vertrauen“

Zwar sorgt das momentan in der Politik noch niemanden, die Alarmglocken könnten jedoch früher klingeln, als es den Verantwortlichen recht ist. Stabile Notenbanken sind ein Garant dafür, dass die Wirtschaft funktioniert und die Währung fest bleibt. Grundsätzlich kann eine Notenbank nicht illiquide werden, sie kann jedoch erheblich an Vertrauen verlieren und muss, um ihre Aufgaben zu erfüllen, unabhängig bleiben. Voraussetzung für die finanzielle Unabhängigkeit ist, dass eine Notenbank zu jedem Zeitpunkt ausreichend kapitalisiert ist. Insbesondere sollte jede Situation vermieden werden, in der das Nettoeigenkapital einer nationalen Notenbank über einen längeren Zeitraum unter der Höhe ihres gesetzlichen Eigenkapitals liegt oder sogar negativ ist.

Tritt dieser Fall ein, kann das die Notenbank in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken. Der betreffende Mitgliedstaat müsste dann innerhalb eines angemessenen Zeitraums die nationale Notenbank mit einem adäquaten Kapitalbetrag neu ausstatten, um mindestens das gesetzliche Kapital wieder zu erreichen.

Unabhängigkeit steht auf dem Spiel

Zentralbanken haben zusätzlich zu den Geschäftsbanken latente Risiken aus aktuellen Engagements, wie quantitative Lockerung oder Kreditvergabe der letzten Instanz. Die Größe dieser latenten Risiken muss proportional zum entsprechenden Bruttoinlandsprodukt bleiben. Glaubwürdigkeit ist wesentlich. Darüber hinaus muss eine unabhängige Zentralbank in der Lage sein, alle monetären Eingriffe völlig unabhängig von der Politik vornehmen zu können.

Notenbanken müssen Anleihen in eigener Währung nicht zum Marktkurs aktivieren und noch nicht realisierte Verluste auch nicht angeben. Sie können zwar nicht illiquide werden, doch faktisch sind sie überschuldet, sobald das Eigenkapital negativ ist. Selbst wenn sie den Gegenwartswert zukünftiger Geldschöpfungsgewinne aktivieren und so die Bilanz kurieren können, dauerte es Jahre dies wieder zu glätten. Während dieser Zeit darf das Vertrauen in die Währung nicht verloren gehen.

Fazit: Wir sind gefangen in einer Politik, die das System nur durch niedrige Zinsen am Laufen halten kann. Blieben die Zinsen über einen längeren Zeitraum zu hoch, würden die Staatshaushalte mittelfristig zu stark belastet und eine neue Staatsschuldenkrise entstehen. Die EZB muss daher nun vorsichtig agieren und darf die Zinsen nicht zu lange auf dem aktuellen Niveau halten oder gar noch stärker anheben.  Bleibt zu hoffen, dass die Verknappung der Liquidität die Inflation spürbar dämpft. Dazu müssten die Tarifparteien ihren Beitrag leisten. Überzogene Tarifabschlüsse könnten eine Lohn-Preisspirale wie in den 1970er-Jahren in Gang setzen.

Über den Autor

Wolfgang Köbler kann auf eine klassische mehr als 35-jährige Karriere in der Finanzbranche zurückblicken. Nach verschiedenen Führungsaufgaben im Privatkundengeschäft war er zuletzt als Direktor im Wealth Management der Dresdner Bank AG tätig. Berufsbegleitend studierte er in den 80’iger Jahren an der Bankakademie und ist heute noch ehrenamtlich im Prüfungswesen der IHK tätig. Den Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit bildete immer die ganzheitliche Betreuung seiner Kunden. Seit 2005 ist Wolfgang Köbler Partner und Vorstand der KSW Vermögensverwaltung AG in Nürnberg. Neben dem Management eines Family Office widmet er sich der individuellen Betreuung von diskretionären Vermögensverwaltungsmandaten. Nebenberuflich fungiert er als Aufsichtsratsmitglied einer börsennotierten Gesellschaft und Finanzvorstand für eine kirchliche Institution.