„Chaos ohne Grenzen“: Mit dem Erfolg der ETFs wächst das Risiko

Warren Buffett nannte Derivate einmal finanzielle Massenvernichtungswaffen. ETFs sind zwar keine Derivate, der Erfolg der indexabbildenden Exchange Traded Funds (ETF) bereitet Marktteilnehmern dennoch Kopfzerbrechen. Denn auch sie haben das Potenzial, Milliarden zu vernichten.

Im vergangenen Jahr flossen allein in Europa nach Angaben von Morningstar rund 100 Milliarden US-Dollar in ETFs. Das Gesamtvolumen aller ETF betrug 2017 weltweit gut 4.000 Milliarden US-Dollar. Bis 2020 könnten rund 6.000 Milliarden US-Dollar in indexorientierten Produkten angelegt sein. Das Erfolgsrezept ist deren Transparenz und Einfachheit. Wer einen ETF kauft, folgt der Entwicklung eines Korbes von Aktien, Renten oder Rohstoffen. Für diesen Automatismus braucht man kein Managementteam, man bleibt passiv im Index investiert.

Mit dem Erfolg der ETFs wachsen allerdings die Risiken. Das hat man in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen. Am 24. August 2015 rauschte der S&P-500-Index zu Handelsbeginn innerhalb von 15 Minuten um sieben Prozent ab, weil unzählige Händler Anteile am S&P-500-ETF abstießen. Da es in diesen Minuten schlichtweg keine Käufer gab, wurde es immer schwieriger, den korrekten Wert des Fonds zu berechnen. Innerhalb von einer Stunde normalisierte sich die Lage wieder. Es ist bis dato der größte Flash Crash der Geschichte.

Am 4. Februar 2018 gab der Dow Jones im Tagesverlauf bis zu sechs Prozent nach. Wieder gerieten ETFs und vor allem Computerprogramme, die rein auf ETFs basierte Handelsstrategien managen, in die Kritik. Nach Angaben des Investmentmanagers Blackrock betrug das gesamte Handelsvolumen in dieser Börsenwoche allein bei ETFs 1.000 Milliarden US-Dollar.

ETFs verstärken ungewöhnliche Marktlagen
Für die ETF-Crashs gibt es eine gute Erklärung. ETFs beinhalten zwar die Werte eines Index, den sie abbilden, doch Anleger handeln diese Werte nicht direkt. Wie bei einer Aktie wird der Kurs des ETFs durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Will jeder verkaufen, aber niemand kaufen, kann der ETF-Kurs massiv vom Index, den er abbildet, abweichen. Im Ergebnis haben ETFs die Struktur unserer Kapitalmärkte grundlegend verändert.

Solange der Börsenhandel in ruhigen Bahnen verläuft, sind ETFs ein kostengünstiges Mittel zu investieren. Schwierig wird es in außergewöhnlichen Marktlagen. Dann tendiert die Konstruktion dazu, diese Marktlage zu verstärken. Nach einer Untersuchung des Instituts für Vermögensaufbau waren bei Auftragsgrößen von über einer Million Euro deutlich höhere Geld-Brief-Spannen und teilweise Liquiditätsprobleme erkennbar. Hier relativiert sich die niedrige Managementgebühr von ETFs. Durch die erhöhten Spreads werden solche Produkte teurer als aktiv gemanagte Fonds.

Besonders bei Renten-ETFs ist Vorsicht geboten. Die großen Indizes auf Staatsanleihen haben die Eigenheit, dass die Zusammensetzung innerhalb des Index den Staaten eine größere Gewichtung beimisst, die höher verschuldet sind. Durch die Anleiheaufkaufprogramme der Notenbanken ist die Liquidität in diesen Segmenten extrem verzerrt, was bei fallenden Anleihekursen zu einem höheren Abgabedruck führt und Kursverwerfungen mit sich bringt.

„Chaos ohne Grenzen“
John Bogle, mittlerweile 89 Jahre alter Gründer der Vanguard Group, einer der größten ETF-Anbieter weltweit, gründete vor 40 Jahren den ersten Indexfonds. Im Jahr 2016 antwortete er auf die Frage, was passieren würde, wenn jeder nur noch Indexfonds nutzt: „Chaos ohne Grenzen. Man kann nicht kaufen oder verkaufen, es gibt keine Liquidität und keinen Markt mehr“. Aber das kann erst dann eintreffen, wenn der Marktanteil dieser Produkte auf 90 Prozent steigt und davon sind wir weit entfernt.

Trotz der jüngsten Verwerfungen bleiben ETFs für uns ein wichtiger Baustein bei der langfristigen Allokation eines Depots. Man kann mühelos ein breit diversifiziertes, kostengünstiges Portfolio zusammenbauen. Ausschließlich in solche Produkte investieren wir trotzdem nicht, da der Value Ansatz und die Investition in viele defensive, hervorragende Aktien sowie aktiv gemanagte Fonds bei Kursrückgängen besser schützt, als ein rein passives Investment.

Über den Autor

Wolfgang Köbler kann auf eine klassische mehr als 35-jährige Karriere in der Finanzbranche zurückblicken. Nach verschiedenen Führungsaufgaben im Privatkundengeschäft war er zuletzt als Direktor im Wealth Management der Dresdner Bank AG tätig. Berufsbegleitend studierte er in den 80’iger Jahren an der Bankakademie und ist heute noch ehrenamtlich im Prüfungswesen der IHK tätig. Den Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit bildete immer die ganzheitliche Betreuung seiner Kunden. Seit 2005 ist Wolfgang Köbler Partner und Vorstand der KSW Vermögensverwaltung AG in Nürnberg. Neben dem Management eines Family Office widmet er sich der individuellen Betreuung von diskretionären Vermögensverwaltungsmandaten. Nebenberuflich fungiert er als Aufsichtsratsmitglied einer börsennotierten Gesellschaft und Finanzvorstand für eine kirchliche Institution.